The Walking Dead – Review – German

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Die Straße vor mir ist verwahrlost. Was vor Wochen noch eine mit Leben angefüllte Stadt war, ist nun eine von Toten behauste Wüste. Wir sind auf der Suche nach Vorräten als ich die Schreie einer jungen Frau am Ende der Straße bemerke. Ich sage mir selbst sie hat keine Wahl außer von der hungrigen Masse verschlungen zu werden. Durch das Zielfernrohr sehe ich wie sie nach Hilfe schreit. An jedem anderen Tag würde ich ihr helfen, aber heute kann ich nur versuchen ihr Leid möglichst schnell zu beenden. Ich zögere, denn ich weiß sie wird auch die Menge auf sich locken. Ich denke an die Leute im Motel für dich ich das mache. Der Gedanke an das andere kleine Mädchen, das ich beschütze lenkt mich von den Schreien ab, während ich meinen Rucksack mit Medikamenten fülle. Ich ignoriere was ich getan habe, wer sie war, wieso sie alleine unterwegs war, ob sie eine Familie hatte oder Freunde oder wo sie sind, für den Moment zählt nur, dass ihr Opfer vielleicht andere Leben verlängert hat.

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Das ist die Welt von The Walking Dead, dem faszinierendsten Blick auf die Zombie-Apokalypse seit Langem. Ein schutzloses Kind zu adoptieren, sich um sie zu sorgen und sich um die Leute kümmern, die von der Apokalypse getroffen wurden um mit ihnen glaubwürdige Beziehungen zu formen sind nicht gerade Gründe weswegen wir in Dead Rising, Resident Evil oder auch Left 4 Dead eintauchen.

Aber warum wird man sich an dieses Spiel noch nach Jahren erinnern? Wieso ist es eben nicht nur ein sehr gutes Point & Click Adventure? Wieso sehe ich mich nicht nur emotional an den Protagonisten gebunden, sondern auch an die Leute, die ich nicht leiden kann und was genau ist es, was all diese Aktionen so heftig und greifend macht?

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The Walking Dead (Mac, PC, PSN [getestet], Xbox Live Arcade)
Entwickler: Telltale Games
Publisher: Telltale Games
Release: 21. November 2012
UVP: $4.99 / £3.99 / €4.99 (Einzelne Episode) / $24.99 / £19.99 / €19.99 (Alle Episoden)

Jede der 5 Episoden ist aufgeteilt in individuelle Segmente, die den Zugriff vom Hauptmenü einfach gestalten und die gesamte Dauer der Story umfasst knappe 8 bis 10 Stunden. Eine Woche vergehen zu lassen zwischen den Kapiteln hilft dabei diese wirken zu lassen, besonders da jede Episode sich vom Ton stark von den anderen unterscheidet. Die erste Episode dient dazu den Hauptcharakter, verurteilten Mörder und ehemaligen Geschichtsprofessor Lee Everett einzuführen, für den sich der Zombie-Ausbruch als Begnadigung herausstellt.

Rührseligkeit und Glaubwürdigkeit sind zentrale Elemente, welche die emotionale Bindung zu Lee und Adoptivkind Clementine ausmachen. Wir wissen Lee ist ein Mörder, aber sein Umgang mit ihr ist an keinem Punkt nicht sorgsam oder aufrichtig. Wenn ich in einer Mission nichts weiter mache als ihren aufgeschnittenen Finger mit einem Pflaster zu verarzten ist es diese Zuneigung zwischen den beiden, die Langeweile verhindert. Dies ist keine Begleitmission, Clementine ist nicht Icos Yorda oder sonst ein anderer nerviger NPC, sie stellt sich nie in den Weg und zeigt sich häufig als einfallsreicher und hilfreicher als einige andere Charaktere der Gruppe.

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Charaktere sind außerdem nicht definiert durch ihren Familienstatus oder sozialen Rang. Vater und Ehemann Kenny will seine Familie natürlich beschützen, aber dies ist nur ein Aspekt davon was Telltale in jede dieser Figuren einbaut, nämlich einer komplexen und glaubwürdigen Persönlichkeit.

Episode zwei legt den Fokus auf die sich langsam anbahnende Hungersnot. Als Spieler ist man somit früh mit der Entscheidung konfrontiert wie die spärlichen Vorräte aufgeteilt werden. Natürlich sagt mir mein Instinkt ich sollte mich zuerst um die Kinder kümmern, aber was dann? Ich habe einfach nicht genug an mir und Entscheidungen in diesem Spiel fallen aufgrund der ausgezeichneten Charakterisierung nicht einfach. Eine Texteinblendung am Bildschirmrand weist darauf hin wenn Charaktere sich etwas merken und wie Leute Lee wahrnehmen.

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Episode drei erklärt wie die Gruppe dazu kommt einen Zug zum Laufen zu bringen, wogegen die vorletzte Folge größere Motive stärker in den Vordergrund stellt. The Walking Dead wählt niemals den einfachsten Weg oder verschönt sich selbst um zu gefallen. Gruppenmitglieder sind größtenteils interessant und einfach zu mögen und viele werden sterben. Wie Lee mit ihnen umgeht ist der Kern des Ganzen und was zunächst noch harmlos und naiv wirkt wird schnell zu einem realistischen Blick auf die Apokalypse trotz Cell Shading.

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Episode vier führt die Stadt Crawford ein und erklärt wie ihr Anführer befahl alle Kinder, Alten und Schwachen umzubringen. Das Überleben der Starken entpuppt sich jedoch als falsche Hoffnung im Angesicht der Frage danach wieso man noch leben sollte, wenn man schon so pragmatisch geworden ist, dass selbst Menschen im direkten Umfeld nur noch als Hindernisse zu sehen sind.

Die eigene Gruppe hat genau solche „Hindernisse“ und Lee wird sich in ähnlichen Situationen finden und entscheiden müssen über Leben und Tod. Nur nachdem ich meine Wahl traf wurde mir klar was ich Lee habe werden lassen, aber ich rechtfertige mich damit, dass ich immer darauf aus war die Gruppe zu schützen. Dies war jedoch genau was sich auch die Einwohner von Crawford sagten und diese Klarheit ist letztendlich was The Walking Dead so großartig macht.

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Dieses Spiel regt zum Nachdenken an, es ist ein langsameres und methodischeres Erlebnis, aber es ist immer greifend, fesselnd, und aufregend. Wenige Momente werden durch technische Probleme, Lag, Glitches, Bugs oder einfach nur schlechtes Design gestört und niemals ruiniert.

Die letzte Episode ist auch die kürzeste von allen. Ausgehend davon wen Lee letzte Folge in seiner Gruppe hatte gibt es mehr als eine Hand voll verschiedener Wege das Finale zu starten und auch wenn sich einige Entscheidungen als Illusion von Wahl herausstellen bleibt die Story so bündig und völlig exzellent, dass ich mich niemals dadurch hintergangen fühlte.

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Adventure Games der 90er sind bis heute noch in Erinnerung geblieben für ihre Geschichten, man erinnert sich jedoch auch an frustrierende Mechaniken wie das Sammeln von Gegenständen und den Kampf mit der Logik der Puzzles. The Walking Dead hat Stellen an denen obskure Rätsel das Spiel durchaus unnötig aufhalten, aber spätere Episoden zentrieren sich fast gänzlich auf Dialoge und Entscheidungen, als auf Rätsel.

Wenn überhaupt sind diese Unterhaltungen die echten Rätsel. Jeder der vier Knöpfe korrespondiert zu einer Antwort, die fast immer sehr klar illustriert was genau Lee machen wird. Nicht nur der Dialogtext macht diese so grandios, sondern auch die Performance aller Sprecher haucht dabei den Figuren Leben ein.

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Entscheidungen fallen schwer, weil sie eben nie in das binäre Raster von gut und böse fallen. Ein echter moralischer Konflikt ist ein Dilemma, bei dem der moralische Sichtpunkt das eigene Handeln diktiert. Es wird immer eine bestimme Art von Lee Everett geben, aber die Vielzahl an wählbaren Optionen lebt vom Detail.

Deswegen genügt es nicht einfach nur alle Episoden online anzusehen. Wogegen Heavy Rain den Spieler zu einer überflüssigen Fernbedienung reduziert oder zu der nervigen Stimme aus der hintersten Kinoreihe macht, die eine ohnehin schon verschachtelte Geschichte ruiniert, respektiert The Walking Dead den Spieler und liefert ein gänzlich aufrichtiges Erlebnis.

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Das bedeutet nicht es wäre auch gänzlich deprimierend und düster, es gibt viele Momente bittersüßer Freude, subtilen Humors, und kleiner Fragmente von Nostalgie für das Leben vor der Apokalypse. Die lebenden Untoten sind dabei nur das Sahnehäubchen auf den Charakteren und Beziehungen. Es ist keine Seifenoper oder ein Melodrama oder gibt vor etwas anderes zu sein als ein naher Blick darauf wie Leute sich wirklich verhalten wenn die Welt zusammenbricht.

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Als ich mich entschied das gesamte Spiel nochmal zu starten gelangte ich an einen Punkt wo ich bestimmte Charaktere nicht länger retten wollte, nicht weil sie sich als unsympathisch herausstellten, sondern ganz im Gegenteil weil ich jemanden vor all den furchtbaren Dingen schützen wollte die noch bevorstanden. Die finale Episode dient als Sühne und Rechnung für alle Entscheidungen, die Lee am laufenden Band bis zu diesem Punkt traf.

Es ist heftig, brutal, clever, emotional, ehrlich, aufrichtig, blutig und ganz besonders atmosphärisch. Dies ist genau die Art Spiel von dem man vor 5 Jahren nur träumen konnte als diese Konsolengeneration noch relativ neu war und Indie Games langsam anfingen ihren Markt zu finden. Charaktere haben alle ihre eigenen Geschichten, niemand ist einfach nur gut oder schlecht, sie haben Gründe für ihr Handeln und kollidieren deswegen hier oft in dramatischen Situationen.

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Als der Abspann lief war ich konfrontiert mit einem langen Moment der Stille und musste erstmal einen tiefen Schluck trinken nur um das Vergangene Revue passieren zu lassen. Durch die starke Betonung von Story und persönlicher Beteiligung daran ist dies zweifelsohne ein Spiel, das erlebt werden muss.

Es triumphiert genau da wo andere scheitern, vielleicht weil es nicht eingeschränkt ist durch technologische Überlegenheit und Fokus auf herausforderndes und belohnendes Gameplay, wodurch die Gefahr besteht Story und narrative Beteiligung der Spieler sekundär zu machen.

Mit The Walking Dead liefert Telltale etwas, das sich völlig auf die Art Kreativität verlässt, die sich typisch fast nur in Spielen mit geringerem Budget wiederfindet, wo Risiken relativ einfach eingegangen werden und Drama nicht erzwungen oder unmotiviert wirkt, sondern menschlich und authentisch.

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Letztendlich lies mich alles häufig ahnungslos dastehen, es lies mich voller Spannung dasitzen, es brachte Momente, die über die kommenden Jahre noch diskutiert werden können und höchstwahrscheinlich auch werden und trotz technischer Probleme ist die Art und Weise auf die die Wahl des Spielers integriert wurde in eine doch ziemlich vorbestimmte Story auch nur einer von vielen Aspekten wieso diese Episoden so gut sind.

The Walking Dead bekommt eine 10/10. Eindeutige Kaufempfehlung.

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